Es war ein Abend mitten im Supersommer 2003. Zahlreiche Überstunden an den Abenden und auch am Wochenende lagen hinter mir. Es war 22 Uhr und ich bemerkte nach einem 14-Stunden-Tag, dass es draußen tatsächlich noch hell war, als ich die Eingangstür der Designagentur hinter mir abschloss.
Wie kam es zu so viel Lebenszeit in der Agentur?
Seit meiner Ausbildung bin ich vermutlich eine dieser Angestellten, die jedes Projekt zu ihrem persönlichen Projekt macht. Eine, die eben alles richtig gut und besser machen will. Eine, die immer nach der optimalen Lösung sucht und selbst die unmöglichsten Termine versucht, möglich zu machen.
Für meine letzte Festanstellung zog ich also in diesen kleinen Ort 50 km nord-östlich von Frankfurt. In einer Fernbeziehung lebend, wartete Zuhause niemand auf mich und vermutlich verlor auch deswegen der Feierabend und später sogar das Wochenende für mich mehr und mehr an Bedeutung. Die Projekte waren zu reizvoll und überaus herausfordernd. Ich genoss das volle Vertrauen meiner Vorgesetzten und fühlte mich im Team angekommen und angenommen – für mich ein grandioses Gefühl.
Seit diesem besagten Sommerabend fühlte ich mich dann aber doch von Woche zu Woche immer ausgelaugter. Heute weiß ich, dass ich spätestens jetzt das Gespräch mit meiner Chefin hätte suchen sollen. Heute glaube ich sogar, dass es meiner Chefin auch ohne ein Gespräch nicht entgangen ist. Leider half bei mir dann auch das Mallorca-Wochenende auf Agenturkosten nicht, zu dem die Leistungsträger eingeladen wurden, um sich etwas zu erholen.
Sommer 2013 · Auszeit auf Agenturkosten im Hotel Valldemossa auf Mallorca
Ich möchte diese Reise keinesfalls missen, aber ich hätte einfach ein paar freie Tage mit meinen Liebsten gebraucht, um mich wieder aufzutanken. Das aber konnte ich nicht aussprechen, weil mir zum Einen bewusst war, wie viel Arbeit auf meinem Tisch lag und zum Anderen vermutlich auch deshalb, weil ich meine Bedürfnisse damals selbst noch nicht so gut kannte und hätte formulieren können.
„Mädels, brüht euch doch einfach ein, zwei Kannen Kaffee auf.“
Dieser Satz fiel an einem Donnerstagabend im Februar 2004 und der Kunde erwartete die überarbeitete Präsentation am Freitagmorgen auf seinem Tisch. Und dieser Satz war gleichzeitig der Tropfen, der mein Fass zum Überlaufen brachte:
Habe ich „Mädel“ gehört?!
Was soll nach zwölf intensiven Arbeitsstunden Geniales passieren?
Ich finde den Geschmack von Kaffee einfach widerlich!
Ich atmete einige Mal kurz durch und verteidigte erstmals meinen ohnehin schon stark verkürzten Feierabend und versprach am nächsten Tag noch früher als früh in die Agentur zu kommen, um bis 9 Uhr an der Präsentation zu feilen. Am nächsten Tag erhielt ich nach Feierabend meine betriebsbedingte Kündigung, durfte umgehend meine Schlüssel abgeben und betrat die Agentur nie wieder und das kam so.
Aber so schnell wird man doch nicht gekündigt?
Ich offensichtlich schon. Einige Wochen zuvor hatte ich immer inniger mit dem Gedanken gespielt, mich selbständig zu machen. Ich dachte damals zwar bereits, dass ich während meiner Ausbildung ein optimales Fundament erhalten hatte, konnte aber nicht ahnen, dass ich davon noch heute profitieren würde.
Eines nachts recherchierte ich, dass ich Überbrückungsgeld für sechs Monate beantragen könne, wenn ich mich selbständig mache. Einzige Voraussetzung: Ich muss gekündigt werden und darf nicht selbst kündigen.
Ich wusste, dass meine Arbeit sehr geschätzt wird, schließlich wurde meine Probezeit bereits auf halber Strecke für beendet erklärt. Im Team war ich beliebt und mehr als genug zu tun gab es auch noch. Niemand in meinem Umfeld war überzeugt davon, dass es reichen würde, wenn ich nur ein einziges Mal „Nein!“ sagen würde. Ich offensichtlich schon.
„Nein, ich kann dieses Wochenende leider nicht arbeiten.“ habe ich an diesem Freitag Nachmittag gesagt, einen Tag nach dem Tropfen, der mein Fass zum Überlaufen brachte. Und es sollte für meine Kündigung reichen. Gleich beim ersten „Nein!“. Dieses „Nein!“ hat mich Kraft gekostet, auch wenn ich mir die Konsequenz so sehr gewünscht habe. Komplett durchgeschwitzt und zittrig, aber voller Vorfreude fuhr ich zurück in meine Wohnung im Nirgendwo.
Sommer 2004 · Meine erste eigene Website damals noch unter www.k-rin.de
Meine Selbständigkeit – ein Aprilscherz?
Als ich am 1. April 2004 gründete, lag mein erster und bislang einziger Monat in Arbeitslosigkeit hinter mir, in dem ich an einem Bildungsinstitut an einem Seminar für Existenzgründer teilnahm. Parallel dazu schickte ich fünf Bewerbungen für eine Festanstellung raus. Vier Zusagen später fühlte ich mich ausreichend gestärkt, mich zu 100% selbständig zu machen. In einer eigenen Wohnung, die es zu unterhalten gab und in einer Gegend, in der ich niemanden kannte.
Ein Glück, wählte mich das Bildungsinstitut als Testimonial aus und nahm mich direkt mit auf eine Gründerinnen-Messe. Mein erster offizieller Auftritt als Selbständige. Und da stand ich nun mit einer Bluse in meinen Corporate Colors vor einer großen Schale Hitschler-Kaubonbons ebenfalls sortiert in meinen Corporate Colors vor meinem vielsagenden Plakat …
Sommer 2004 · Plakat für eine Unternehmerinnen-Messe im hessischen Friedberg
… und knüpfte erste, zarte Kontakte zur Wirtschaftsförderung Wetterau am Nachbarstand. Noch heute zählt der Wetteraukreis zu meinen Kunden der ersten Stunde.
Was waren und sind meine Schlüssel zur Selbständigkeit?
Wenn ich heute erzähle, dass ich mich mit 23 selbständig gemacht habe, kommt fast immer die Frage, ob das nicht ziemlich mutig war. Ehrlich? Für mich war das eher die logische Konsequenz. Denn auch mit 23 habe ich schon einiges davon mitgebracht, was es aus meiner Sicht an Grundvoraussetzungen braucht, um sich selbständig zu machen und vor allem, um das auch auf lange Sicht zu bleiben:
Ich liebe meinen Beruf und überblicke die Arbeitsprozesse, die direkt vor und nach mir kommen. An der Stelle noch einmal einen großen Dank an eine der wenigen wahren Full-Service-Agenturen, in der ich meine Ausbildung machen durfte.
Ich lerne immer wieder gern dazu, bin interdisziplinär im Austausch und im Moment stecke ich noch auf der Zielgeraden zur Medienfachwirtin Print.
Ich arbeite strukturiert, kann mich gut organisieren und selbst motivieren, selbst wenn ich dabei einen Schlafanzug trage.
Ich kann gut zuhören und anregende Fragen stellen und liebe es, neue Menschen und deren Sichtweisen kennen zu lernen.
Ich übernehme für meine Projekte die volle Verantwortung und bleibe besonders dann ehrlich, wenn auch mal etwas schief geht, was *klopf auf Holz* in den letzten 16 Jahren mehr als sehr selten vorkam.
Ich liebe Ordnung, mag sogar Zahlen und Bürokratisches und vergesse nicht nur Angebote und Rechnungen zu schreiben, sondern auch meine Steuern pünktlich zu zahlen.
Ich weiß mittlerweile, dass es nicht nur Know-how braucht, sondern auch manchmal Glück und vertraue darauf, dass sich genau dann eine Tür öffnet, wenn sich an anderer Stelle eine schließt.
Und wie ging es mit der Selbständigkeit weiter?
Dazu mehr in einem meiner nächsten Artikel. Soviel sei vorab gespoilert:
Es folgen ein Beagle-Welpe, vier Umzüge und unzählige spannende Projekte!
Dieser Blogartikel ist Teil der Blogparade von Michaela Schächner.
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